Wir leben in einer Zeit, in der es lohnenswert ist, eine Antwort auf die Frage „Was ist Leben?“ zu erarbeiten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts trat in der Naturwissenschaft die vorherrschende Denkweise auf, dass Lebewesen nur komplexe Maschinen wären. 100 Jahre später wurden die Gene als Quelle des Lebens angesehen. (siehe z.B. „Das egoistische Gen“ von Richard Dawkins). Atome sollen sich zu Molekülen verbunden haben. Die Moleküle setzten die Umgestaltung fort, bis Aminosäuren, „die Grundbausteine“ des Lebens, entstanden sind. Aus den Aminosäuren sind dann Gene geworden, die sinnstiftende Eigenschaften kodieren. Dawkins schreibt den Genen einen Überlebens- und Vermehrungstrieb zu. Aus dem Stoff entstünde dann Bewusstsein. – Alles unter der leitenden Kraft des Zufalls. Doch ist Leben wirklich etwas, was durch die Kombination von toten Stoffklumpen entstehen kann? Brauchen wir nicht eine unvoreingenommene Herangehensweise, um auf ein Verständnis von Leben zu kommen? Ja, Leben zeichnet sich durch seinen Prozesscharakter aus. Doch werden diese Prozesse nur von physischen Kräften beeinflusst?
Solange die Frage nach dem Leben im Menschen und in der Mitwelt noch eine abstrakte ist, wird ihre Reichweite bei der Betrachtung des sozialen Organismus nicht sichtbar. Ist das Leben im sozialen Organismus nur ein Ablaufen von Programmen? …in letzter Konsequenz nur bestimmt durch physikalische Vorgänge? Oder besitzen wir die Möglichkeit, den sozialen Organismus nach Ideen gemeinsam zu gestalten?
So legte der Nobelpreisträger Ilya Prigogine dar, dass lebendige Organismen als komplexe, non-lineare sowie dissipative Systeme aufzufassen sind. Sie sind offen zu ihrer Umwelt und stehen in einer intensiven Wechselwirkung zueinander. Reduktionistische Betrachtungsweise greifen für eine sachgemäße Beschreibung des Lebendigen zu kurz.
Und dennoch gelangen aus einer gesellschaftlichen Denkgewohnheit heraus Ansätze zur Anwendung, die noch nicht die Vielschichtigkeit des Lebens erfassen. Schon allein vom Ökosystem ausgehend ist das Schicksal der Menschheit untrennbar mit dem Schicksal des Planeten verbunden. Und auch das Eintreten für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist wesenslos, wenn der Wille fehlt, nicht in psychologische bzw. geistige Tiefen des Menschen erkennend einzudringen. Für ein Verständnis des Lebendigen und des sozialen Organismus werden beweglichere Begriffe benötigt, mit denen die vorhandene Komplexität erfasst werden kann.
Dreigliederung ist kein starres Schema. Neben einem Verständnis der Grundprinzipien ihrer drei Bereiche benötigt ihre Umsetzung ein lebendiges Eingehen auf die jeweilige Situation. Das kann keine Musterlösung oder Schema sein, das routinemäßig kopiert werden kann. Individuelles Gestalten und Verändern, das gemeinsame Abstimmen und Weiterentwickeln sind die Weggefährten. Anstelle von abstraktem oder routiniertem Denken erfordert sie ein lebendiges Neudenken, abgestimmt auf die jeweilige Situation und Umstände.
Die Frage zu beantworten, was Leben ist, erfordert Beobachtung der Wirklichkeit in allen ihren Facetten, Denken und Beobachtung des Denkens. Ein sehr großes Feld der Erkenntnisschulung.